Tom in Meersburg
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http://www.praxis-reichard.de/artikel/art24.htm
Healing is easy - Heilen ist einfach
Von Christian Reichard
Anfang März dieses Jahres fand im zu dieser
Jahreszeit tiefverschneitem Meersburg am Bodensee ein Wochenendseminar über
Geistheilung mit dem englischen Heiler Tom Johanson statt. Das interessierte
mich, davon hatte ich früher nichts gehört, später nur Bruchstückhaftes,
Erzähltes.
Alternative Heilweisen, und seien sie noch so entlegen, deren Erforschung,
Anwendung und Tradierung, haben uns Heilpraktiker über die Jahrhunderte
legitimiert. In den altehrwürdigen Spiegelsaal des Neuen Schlosses nun drängen
sich die Menschen, füllen den Raum, verhalten, einander noch fremd, blicken auf
das harmonische, den Frühling verheißende Blumenarrangement vorne hinter dem
Rednerpult und nehmen zögernd nebeneinander Platz.
Ich schaue mich um - kein mir bekannter Kollege
weit und breit, nur mein langjähriger Freund seit der Schulausbildung neben mir,
mit dem ich die Reise unternommen habe, und ich vertreten unseren Berufsstand.
Dafür Kranke, Leidende, Hilfesuchende, am Stock, mit Verband, mit Krücken. Es
ist eine praktische Demonstration, die die Theorie stützen soll, angesagt.
Deswegen. Sie hoffen noch auf ein Wunder, diese Menschen haben wohl schon alles
hinter sich gelassen: Ärzte, Fachärzte, Kliniken, Fachkliniken, Heilpraktiker
- ich denke an die Patienten in meiner Praxis, die irgendwann Termine absagen
und nie wiederkommen.
Tom Johanson erwies sich als überzeugender
Redner, der die schwierige Materie der geistigen Ursachen der Krankheit auf
anschauliche Art und Weise zu erläutern vermochte, er bestach durch seine überaus
liebenswerte und integre Persönlichkeit und schaffte so einen Einblick, wie ein
geistiger Heiler beschaffen sein muß.
Geistiges Heilen ist nicht eine Domäne des
intellektuellen Wissens, des Reproduzierens von Gelesenem und Gehörtem, sondern
das Ergebnis jahrelanger, intensiver Meditationspraxis, echter christlicher
Selbstaufgabe und demutsvollem Dienen am leidenden Mitmenschen.
Mit-leid, das Bewußtsein des brüderlichen Du in
anderen zu erkennen, der aufrichtige Wunsch, helfen zu wollen, das ist der
Schlüssel,
der Anfang zu einem wahren Heiler. Schauen wir in uns und prüfen wir unsere
Motivation, die uns diesen Beruf hatte wählen lassen und seien ehrlich mit dem,
was wir dort gesehen haben! »Lege Deine Hände auf, wenn Du wirklich helfen
willst, bitte um die Kraft und sei das Instrument der Heilung, dann ist Heilen
einfach.« Das berührte mich, so spricht nur ein echter Heilpraktiker. Ich sehe
den blinden jungen Mann eine Sitzreihe von mir, er hatte schon eine Behandlung
hinter sich und ist Tom Johanson nachgereist. Intrauterine Sehnerventzündung,
seit Geburt blind - nach den ersten Sitzung konnte er Neonlicht sehen ...
Das bist
Du, im Leiden des anderen siehst Du Dein
eigenes Leiden. Jeder wahre Buddhist gelobt zu Anfang jeder Meditation,
unentwegt für die Leidensbefreiung aller Lebewesen tätig zu sein - welch ein
hohes ethisches Versprechen. Regelmäßige Meditation wird die Entwicklung jener
subtilen, in jedem Menschen vorhandenen Kräfte wecken und ausbilden. Ein tiefes
Versprechen, für jeden Heilpraktiker eine Herausforderung. Nicht komplizierte
kybernetische Denkmodelle, keine widersprüchlichen Arzneimittelbilder oder je
nach Fachbuch variierenden Akupunkturpunktkombinationen, nein, der Behandler
selbst ist das Strombett für die unermeßlichen Heilungskräfte, die sein
eigener, von Selbstüberschätzung und Dünkel frei gewordener Geist zu lenken
vermag. Heilung aus dem Geist bedeutet jedoch, zuerst den eigenen Geist zu
heilen. Wer seine Kraft und seine Therapiekonzepte, so nützlich sie auch seien,
nur auf äußere Methoden gründet, wird nie an die in ihm selbst innewohnende
Kraft glauben, die ihn dazu befähigen kann, direkt und ohne äußere
Hilfsmittel heilerisch tätig zu sein.
Endlich die Praxis, die angekündigten
Falldemonstrationen. Ein junges Mädchen, Unfall vor einem Jahr. Sie kann den Kopf nicht drehen und
leidet unter schweren Schwindelanfällen. Diese Fälle kenne ich gut, ich
überlege,
was ich tun würde. Die ganze Palette der Therapiemöglichkeiten zieht an mir
vorbei - ich sehe genau hin: Tom Johanson tastet die Halswirbelsäule ab,
bestimmt die Läsion und verharrt in kurzer Meditation, während seine Hände
ruhig am Hals anliegen. Eine Minute später, wer es selbst nicht gesehen hat,
wird es schwer glauben, kann das Mädchen den Kopf vollständig drehen. Weiter,
ermutigt durch das Erlebte, eine ältere Frau, unfähig, sich zu bücken, sechs
Operationen an der arthrotischen Lendenwirbelsäule waren vergebens geblieben,
das Gleiche, Händeauflegen, dann die Bitte, sich zu bücken - die Fingerspitzen
berühren den Boden. So geht es weiter, die ganzen Problemfälle der eigenen
Praxis stehen hier in veränderter Form an, suchen nach Linderung oder Heilung.
Auch Grenzen werden sichtbar, nicht jeder Behandelte geht ohne Beschwerden,
mehrmalige Sitzungen sind nötig, genug aber, um zu staunen, jedoch jeder geht
mit einem neuen Funken Hoffnung im Herzen. Sie werden einen Geistheiler suchen
in ihrer Nähe. Das Leiden ist übergroß in dieser Welt, niemand ist davor
sicher, geistiges, seelisches, körperliches Leiden in allen Schattierungen. Es
ist uns gegeben, wir werden damit tagtäglich konfrontiert, sei es als Leidender
oder Mitleidender, um in uns die Sehnsucht zu wecken nach einem glücklicheren
Leben jenseits aller Begrenzungen. Nicht der Mann da vorne ist es, der da heilt,
der das Unmögliche möglicher macht, sondern jene unsichtbaren Kräfte, die
unser aller Leben leiten und gestalten.
Während wir schweigend durch den knirschenden
Schnee stapfen, der die aufbrechende Frühlingssonne widerspiegelt, unserem
Praxisalltag entgegen, denke ich an meine Schulzeit zurück, an die Jahre meiner
eigenen Praxis, wo ich dachte, vieles schon gelernt zu haben - nun ein neuer
Anfang, neues Lernen. Heilen ist einfach. Ja.
erschienen: Naturheilpraxis 8/86
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